Rede - Brain Storm

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Rede

Dr. Carola Schneider,
Direktorin des Marburger Kunstvereins
Harald und Gudrun Häuser,
Prof. Rolf van Dick, Vizepräsident
der Goethe Universität Frankfurt
                                               "Ellipsen" - Installation der Künstlergruppe Kriegfried                                    Foto: S/W

Liebe Gäste, lieber Herr Häuser, liebe Frau Häuser,

sehr herzlich begrüße auch ich Sie alle zur heutigen Eröffnung der Ausstellung „Brain Storm“ mit Gemälden von Harald Häuser. Er ist – wie Herr Pätzold es ja gerade herausstellte – kein Unbekannter in Marburg [Einzelausstellung 1987 im Marburger Kunstverein, 1991 und 1998 im Kunstmuseum Marburg] und da Sie so zahlreich erschienen sind, scheint die Freude über ein Wiedersehen mit ihm und seiner Malerei groß zu sein.

Nach dem Schock des gestrigen Attentats von Hanau tut uns die Kunst besonders gut und ich möchte meiner Einführung einen Gedanken Siegfried Wichmanns* voranstellen: „Harald Häuser hat mit diesen Raumfarben eine Botschaft zu verkünden: Die Macht des Dunklen durch die glühende Farbe zu überwinden.“ (*Professor Wichmann war Direktor des Bayerischen Nationalmuseum und kuratierte 1983 eine Ausstellung von Harald Häuser in der Engelhornstiftung München.)

Für alle, die Harald Häuser nicht ganz so gut kennen, möchte ich seinen Werdegang kurz skizzieren: Er ist in Marburg geboren, wuchs zunächst in Gießen, Frankfurt und Darmstadt auf und verbrachte seine Schulzeit am Bodensee und in Paris. Er studierte erst Politologie, Literaturwissenschaft und Linguistik an der Uni Konstanz, dann von 1978 bis 83 Malerei an der Kunstakademie Karlsruhe bei Per Kirkeby, der zu diesem Zeitpunkt gerade erst mit der Lehre begann und sich selbst eher als Lernenden begriff. Kirkeby, promovierter Geologe aus Dänemark, war ein sehr vielseitiger und avantgardistischer Künstler, hatte sich Anfang der 1970er Jahre der informellen Malerei zugewandt und erforschte auch mit den Mitteln der Malerei die Natur, die Erde und ihre Geschichte. Der Kunsthistoriker Siegfried Gohr bezeichnete ihn als einen „der wichtigsten Koloristen in der Nachkriegsmalerei“. In einem 2014 gedrehten Dokumentarfilm sagte Kirkeby: „Wenn ein Bild mich während des Arbeitsprozesses nicht überrascht, ist es nicht besonders gut“ - Kirkebys Experimentierfreude, sein reflektierender Arbeitsprozess (er arbeitete monatelang an einem Bild) und sein Umgang mit der Farbe prägten Harald Häuser in starkem Maße. Dazu später mehr.

1979 gründete Harald Häuser zusammen mit anderen Studenten, u.a. Wolf Pehlke (Karlsruher Maler und Autor - verstorben 2013), Heinz Pelz (heute künstlerischer Lehrer für Momumentalmalerei an der Kunstakademie Karlsruhe) und Ralf Scherrer (freier Künstler in Berlin) die Künstlergruppe „Kriegfried“. Sie inszenierten Kunst-Happenings (wie z.B. die freche Kreidekreis-Performance auf der Biennale in Venedig 1980) und stellten mehrmals gemeinsam in Deutschland, in der Schweiz, in den USA aus – und 1988 im Marburger Universitätsmuseum.
An der Wand sehen Sie – als temporäre Installation nur am heutigen Abend! – von jedem dieser vier Künstler je vier Ellipsen, eine kleine Auswahl von insgesamt 40 solcher Papierarbeiten, die auf Initiative von Harald Häuser 2011 in der Pariser Galerie 59 Rivoli ausgestellt waren. Harald Häuser liegt diese Reminiszenz an seine frühen Jahre und an die seither bestehende Freundschaft mit seinen Künstlerkollegen sehr am Herzen.

Harald Häuser erhielt viele Preise und Stipendien, ließ sich 1985 mit seiner Frau in Marburg nieder und bekam ein großes Atelier in einer Halle der Tapetenfabrik, nutzte ab 1993 ein Loft-Atelier im Industriegebiet von Breidenbach und hat seit 2011 ein Atelier in einer ehemaligen Kirche in Kombach. Dort habe ich ihn im Herbst letzten Jahres besucht und mir seine Bilder auf dem Podest des ehemaligen Altars angeschaut – das hatte was!
Immer wieder zog es Harald Häuser mit seiner Frau in die Welt hinaus, er verbrachte jährliche Atelieraufenthalte in Paris, Savannah/USA, Mallorca und an der Algarve, ging auf Reisen und realisierte Buchprojekte und Ausstellungen seiner Werke.

Die hier zu sehenden Gemälde, alle in Acryl auf Leinwand gemalt, stammen aus der Zeit von 1995 bis 2019. Die meisten sind in den letzten drei Jahren entstanden.

Die malerischen Mittel Harald Häusers sind sehr vielfältig: Wir sehen breite Pinselspuren in großen Schwüngen als gestische Malerei, mal pastos, mal lasierend aufgetragene Farbe, diffuse Farbverwischungen, klar konturierte Formen, Übermalungen in vielen Schichten und mit feinem Pinsel gezeichnete Kalligrafien.

Und – wie bei vielen Künstlerinnen und Künstlern des Abstrakten Expressionismus und des Informel der 1. und 2. Generation – ist der Zufall im Spiel, wenn Harald Häuser die Farbe spritzt, mit Schwämmen druckt oder zerknitterte Tücher in Farbe taucht und per Abklatschverfahren auf die Leinwand schlägt. Dieses Verfahren der Décalcomanie hatte die Surrealisten, insbesondere Max Ernst besonders gereizt.

Wie können wir uns den Entstehungsprozess seiner Bilder vorstellen? Er selbst beschreibt es so:
„In meiner künstlerischen Arbeit gehe ich folgendermaßen vor: In einer ersten Phase wird Farbe wie Materie behandelt und einem sich selbst überlassenen physikalischen Vorgang ausgesetzt, d.h. eine Ordnung stellt sich während dem Trocknungsprozess – entsprechend der Naturgesetze - wie von alleine ein.
Im zweiten Schritt folgt beim Betrachten eine Analyse des Sichtbaren, wobei die Strukturen und entstandenen Farbräume mit einem sehr feinen Pinsel und meist schwarzer Farbe nachempfunden, nachgezeichnet und verdeutlicht werden: Das Unbekannte, das Irrationale wird so für das Denken sichtbar gemacht.
Diese beiden Phasen wiederholen sich (theoretisch unendlich) abwechselnd – ein auf den Gemälden oft jahrelang dauernder Prozess, bis sich schließlich ein Gefühl von Stimmigkeit und Harmonie einstellt, welche von einem äußeren Betrachter objektiv so empfunden wird.
In diesem Gefühl der Einheit von forschendem Subjekt und dem reflektierten Objekt liegt dann der Moment der Magie – und der Blick durch ein um einen kleinen Spalt geöffnetes Fenster zur Seele.“

Die Pole Kalkül und Intuition, Erfahrung und Experimentierfreude sind in der Malerei Harald Häusers also keine Gegensätze, sondern gleichberechtigte schöpferische Kräfte.

Er beschäftigte sich intensiv mit der Malerei Gustave Moreaus, dem großen französischen Symbolisten, der sehr sinnlich mit der Materie der Farbe umging. Es ist überliefert, dass er seine Schüler aufforderte, Bilder anderer Maler nicht nur zu betrachten, sondern zu berühren. Matisse* berichtete: „Besonders interessierte uns das Handwerkliche, wir betasteten die Leinwand, … untersuchten den Farbauftrag, die Töne, die Übergänge zwischen Licht und Schatten.“ (* er war Schüler von Moreau)

Auch die Bilder Harald Häusers bieten sinnliche Expeditionen ins Reich der Sinne: Man kann sich in diese Bilder hineinbegeben, Sehempfindungen nachspüren, sich durch den Rhythmus der Farben mit den Augen durchs Bild tragen lassen.

A propos Rhythmus: Hat diese Malerei nicht auch etwas musikalisches? Eines der Bilder trägt den Titel Die Musik des Nachtwaldes. Wenn Sie mögen, können Sie es sich im 2. OG ansehen und inneren Klängen nachspüren. Eine kleine Anleitung dazu bietet Kandinsky, der von der Möglichkeit des Farbhörens überzeugt war und sich intensiv mit den Analogien von Farbton und Klangfarbe befasste. In seiner Schrift Über das Geistige in der Kunst (S. 91ff) bringt er die wesentlichen Farbtöne mit bestimmten Instrumenten in Zusammenhang: Das Gelb mit dem Trompeten- oder Fanfarenton, das Orange mit der Bratsche oder einer warmen Altstimme, das Rot mit der Tuba oder Trommel, das Violett mit dem Fagott, das Blau mit dem Cello, der Bassgeige oder Orgel und das Grün mit gedehnten, meditativen Tönen der Geige.

Synästhetische Bezüge gibt es im Werk Harald Häusers nicht nur zur Musik (er selbst spielte in seiner Jugend Bass in einer Band), sondern auch zu Sprache und Literatur. Gut 20 Jahre lang, bis Mitte der 1990er Jahre, schrieb er (so wie übrigens auch sein Lehrer Kirkeby) Gedichte in Form von Vierzeilern, die ich als „Bilder in Worten“ bezeichnen würde. Er illustrierte Lyrikbände und Romane und entwickelte schon vor seiner Akademiezeit ein skripturales Prinzip in Form kalligraphischer Zeichen, die wie ein roter Faden alle seine Schaffensphasen durchziehen. Sie sind als Grundformen von Sprache zu verstehen, deren essentielle Funktion er in der Verständigung zwischen Menschen aller Kulturen sieht. Dies kommt besonders in seinen Zeichnungen der Serie Sprachbrücken zum Ausdruck.

Auch Keramiken gestaltet er kalligraphisch – zwei Kostproben hat er zur heutigen Eröffnung mitgebracht. Bereits während des Studiums arbeitete er in der Majolika-Manufaktur Karlsruhe, seit 2009 verbringt er Arbeitsaufenthalte in der Porches Pottery, Algarve, weitere Keramiken entstanden in Nabeul in Tunesien.

Die Natur scheint eine wichtige Inspirationsquelle für Harald Häuser zu sein: Bildtitel wie Geschichte im Fels, Ethik des Blau im Nebelraum, The secret life of water, Wachstum, Biotop oder Blüte legen dies nahe. Vor den beiden quadratischen Bildern links von mir scheinen wir mitten in einer spätsommerlichen Wiese in warmem Sonnenlicht zu stehen, und das Bild rechts von mir, Der Atem (Transfiguration), erzeugt die Illusion einer winterlichen Berglandschaft, lässt eisigen Wind aufkommen oder an sich wogendes Wasser denken. Bei dem Bild der Blüte (das Motiv der Einladungskarte, im Original das erste in der Reihe im 2. OG) dachte ich an Rilkes Gedicht Rosa Hortensie (entstanden 1907 oder 1908):

Wer nahm das Rosa an? Wer wusste auch,
dass es sich sammelte in diesen Dolden?
Wie Dinge unter Gold, die sich entgolden,
entröten sie sich sanft, wie im Gebrauch.

Dass sie für solches Rosa nichts verlangen.
Bleibt es für sie und lächelt aus der Luft?
Sind Engel da, es zärtlich zu empfangen,
wenn es vergeht, großmütig wie ein Duft?

Oder vielleicht auch geben sie es preis,
damit es nie erführe vom Verblühn.
Doch unter diesem Rosa hat ein Grün
gehorcht, das jetzt verwelkt und alles weiß.

Von den in diesem Gedicht anklingenden Farbveränderungen in der Natur möchte ich nochmal auf die Farbe in ihren vielen Übermalungen und Schichtungen auf den Bildern Harald Häusers zu sprechen kommen: Einerseits leuchten auf seinen Bildern Farben aus der Tiefe hervor – etwa ein helles Gelb oder ein strahlendes Ultramarin - und andererseits suggerieren die unteren Malschichten ein weiten, unendlich scheinenden Raum. Zurecht hat Jürgen Wittstock das Raumerlebnis in diesen Bildern mit der Deckenmalerei des Barock verglichen.

„Man malt, um etwas zu verstehen“ haben Sie, lieber Herr Häuser, einmal gesagt. Die Malerei ist also für Sie ein Mittel der Erkenntnis – aber dies gilt auch für uns als Betrachterinnen und Betrachter. Wir alle danken Ihnen für diese eindrucksvolle Ausstellung. Ihre energiegeladenen farbstarken Bilder kommen hier vor dem grauen Hintergrund des Sichtbetons sehr gut zur Geltung.
Ihrer Frau, die schon seit 35 Jahren unterstützend an Ihrer Seite ist, danken wir herzlich, Herrn Heckmann vom Erwin-Piscator-Haus für die Hilfe bei der Hängung und Karin Stichnothe-Botschafter für die Möglichkeit, an den Wänden der beiden Foyer-Etagen des Erwin-Piscator-Hauses Ausstellungen präsentieren zu dürfen.   copyright: Carola Schneider

 
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